Asymmetrie ist ein zentrales Konzept für das Verständnis der Rolle, die der Telegraph in der Geschichte der Globalisierung gespielt hat. Dieser Beitrag zeigt diese asymmetrische Entwicklung des globalen Telegraphennetzwerks und setzt sich mit einer allzu systemorientierten Sicht und einer weithin unkritischen Charakterisierung des Telegraphen als Motor der Globalisierung auseinander. Zwei Trends in der aktuellen Geschichtsschreibung sind dafür besonders ermutigend: Einerseits haben verschiedene Forscher begonnen, den scheinbar revolutionären Charakter des Telegraphen kritischer zu beurteilen, indem sie mehr Aufmerksamkeit auf die technologische Entwicklung vor dem Telegraphen und auf Kommunikationsstrategien, die parallel zu ihm entwickelt wurden, gelegt haben. Andererseits haben Untersuchungen des Telegraphen im imperialen Kontext die wechselseitige Abhängigkeit der imperialen Mächte unterstrichen und dabei Konflikte um die Ausweitung des Telegraphennetzwerkes in den Blick genommen. Die Einleitung zu diesem Themenheft schließt damit, dass sie Ideen, Materialität und Gebrauch als drei Perspektiven identifiziert, unter denen die Untersuchung der inhärenten Asymmetrien des globalen Telegraphennetzwerkes besonders fruchtbar erscheint.
Asymmetries of Technological Globalization: The Electric Telegraph
Vol. 21 No. 6 (2011)
Herausgegeben von Jonas Harvard und Frank Schipper
Articles
Die Idee, dass der elektrische Telegraph in der Lage sei, Grenzen zu beseitigen und nationale wie internationale Konflikte zu überwinden, begleitet seine Geschichte, war aber besonders stark in der Zeit seiner Entwicklung und Ausbreitung über den gesamten Globus. Stimuliert von der Aufmerksamkeit, die die Bemühungen um ein atlantisches Kabel (1857–1866) fanden, wurde dieses Motiv Teil der Popularkultur. Von S. B. F. Morse bis H. G. Wells stellten sich viele vor, dass er Kriege beenden würde, indem er mit den Missverständnissen zwischen Völkern und Nationen aufräumen würde. Nationalismus, Sektierertum und „Partikularismen“ würden verschwinden, eine „universelle Union“ oder ein „Welt-Staat“ würden entstehen. Zentral für diese Annahme war der Glaube, dass der elektrische Telegraph eine große Handlungsmacht habe, nicht nur in Bezug auf soziale, wirtschaftliche und politische Veränderungen, sondern auch für die geistige, moralische und intellektuelle Verbesserung der Menschheit. Wie allerdings schon H. D. Thoreau vorausgesagt hatte, konnte der Telegraph selbst die intellektuelle oder moralische Qualität der Kommunikation nicht verbessern, ohne intelligente und moralische Nutzer würde diese neue Kommunikationsform nur beschleunigen, was die alten Medien, wie etwa die Tageszeitungen, bisher schon getan hatten.
Der elektrische Signale verarbeitende Telegraph habe, so wird oft gesagt, Zeit und Raum „ausgelöscht“, indem er Kommunikation vom physischen Transport der Nachrichten trennte. Der Artikel prüft die empirische Stichhaltigkeit einer solchen Feststellung durch den Vergleich der Ausbreitungsgeschwindigkeit von Neuigkeiten in zwei schwedischen Provinzzeitungen zwischen 1850 und 1870. Die eine wurde im südschwedischen Helsingborg herausgegeben, wo eine gute Anbindung an klassische Transportwege bestand. Die andere erschien im Norden, in der weit abgeschiedeneren Stadt Piteå. Beide Orte waren seit den 1850er Jahren an das Telegraphennetz angeschlossen. Es ließe sich annehmen, dass die Unterschiede in ihrer relativen Distanz zur Hauptstadt Stockholm und zum europäischen Kontinent durch die neue Technologie aufgehoben würden, was sich am Zeitverzug der aufgenommenen Nachrichten messen lässt. Die Resultate zeigen, dass die neue Technologie im Süden rasch vollständig implementiert wurde, im Norden dagegen nur sporadisch zum Einsatz kam. Statt die Distanzen zu verringern führte die neue Technologie sogar zum Anwachsen der relativen Entfernung zwischen den Orten. Dies lag vor allem an Faktoren wie den Kosten für die Verwendung von Nachrichten, die über den Telegraphen übermittelt wurden, im Verhältnis zum Einkommen aus dem Zeitungsvertrieb, sowie den vermuteten Bedürfnissen der Leser.
Viele Nationen sahen die Telegraphenverbindungen, insbesondere die Unterseekabel, als strategische Faktoren. Portugals Regierung strebte eine „Modernisierung“ des Landes an, indem es 1854 ein Telegraphennetz aufsetzte. Begrenzte Ressourcen zwangen die portugiesischen Politiker, Techniker und Manager, die Reichweite und Effizienz des Netzes zu optimieren, indem sie Telegraph, Telefon und Radio miteinander verbanden. Portugals geographische Lage machte es zugleich zu einer Peripherie und zu einem Zentrum anderer Peripherien, besonders der Atlantischen Inseln und der afrikanischen Kolonien. Dies bescherte portugiesischen Territorien eine Schlüsselposition im globalen Telegraphennetzwerk und machte es zu einem bedeutenden Faktor von dessen Heraufkunft und Kontrolle zwischen ca. 1860 und 1930. Der vorliegende Artikel konzentriert sich auf die Beziehungen dieser Tatsache zu wechselnden geopolitischen Konstellationen und der nationalen Modernisierungsabsicht.
Der Telegraph entwickelte sich nie zu einem weltweit verbreiteten sozialen Instrument der Kommunikation zwischen Privatpersonen. Dieser Aufsatz porträtiert drei Reformer - Ernest Ayscoghe Floyer, John Henniker Heaton und Heinrich von Stephan - die diese Situation zu ändern antraten und argumentierten, dass der gesellschaftliche Gebrauch des Telegraphen erweitert werden sollte. Sie trafen auf der Konferenz der Internationalen Telegraphenunion in Berlin 885 zusammen. Das Ereignis hatte deutlich niedrigere Preise im europäischen Netz zur Folge, die auf einen Vorschlag von Stephans zurückgingen, der die Asymmetrien im Gebrauch des Telegraphen abbauen wollte. Dies scheint symptomatisch für ein allgemeineres Muster in der Entwicklung von Infrastrukturen, demzufolge europäische Arrangements als Zwischenschritt auf dem Weg zu globalen Lösungen angesehen wurden.