Border Research in a Global Perspective
Vol. 17 No. 4 (2007)
Herausgegeben von Steffi Franke und James W. Scott
Articles
Der vorliegende Artikel beschäftigt sich mit dem Zusammenhang von Territorialgrenzen, Personenkontrollen und Staatlichkeit. Im Zentrum der Betrachtung stehen der Wandel des Nationalstaates alter Prägung sowie die Veränderung der staatlichen Grenz- und Personenkontrolle unter den Bedingungen der Globalisierung. Unter Globalisierung wird üblicherweise die Zunahme grenzüberschreitender Transaktionen und die Abschwächung der Kontrollfähigkeit des Staates für ein ganzes Spektrum von Faktoren und Ressourcen verstanden. Diese Behauptung wird für den Bereich der Personenmobilität auf Basis einer Sekundäranalyse empirischer Studien überprüft, wobei zugleich hinterfragt wird, ob eine Zunahme an Grenzüberschreitungen mit einer Abnahme staatlicher Kontrolle gleichgesetzt werden kann. In der Debatte zur Globalisierung stehen Thesen zur abnehmenden Kontrollkapazität des Staates und zum Bedeutungsverlust von Grenzen konträren Thesen über eine anhaltend wichtige Rolle nationalstaatlicher Grenzen und Grenzkontrollen gegenüber. In Abgrenzung dazu deuten unsere gesammelten Hinweise darauf hin, dass diese allgemeinen Thesen zu kurz greifen, um die Breite der Entwicklungen zu beschreiben. Die Reaktionen des Staates auf Veränderungen im Kontext der Globalisierung scheinen den ersten Befunden nach vielfältiger zu sein als oftmals behauptet wird: Wir finden eine Gleichzeitigkeit von Öffnung und selektiver Schließung, was auf eine Ausdifferenzierung der Grenzkontrollfunktion hindeutet. Zugleich wenden Staaten sowohl Strategien zwischenstaatlicher Kooperation und Makroterritorialisierung von Grenzen bei gleichzeitig erhöhtem Einsatz technischer Mittel und neuer Technologien als auch integrierte Ansätze der inneren und äußeren Sicherheit an. Ein allgemeiner Kontrollverlust des Staates kann auf der Basis unserer Erkenntnisse nicht ausgemacht werden, vielmehr zeigt sich eine Veränderung der Formen und Inhalte staatlicher Grenzregime.
Historians often fade out Russia in their discussion on the »spatial turn« in European history, even though Russian history has strong European roots. Russia is a case of spatial extremity of Europe that encompasses parts of Asia. Russia’s expansion into Siberia, the Caucasus and Central Asia is embedded in the history of European colonialism. Russia’s historical mobility toward the East blurres borders between Europe and Asia. For centuries the cultural encounters between sedentaries and nomads have contributed to this phenomen. In fact, we cannot speak of regulated borders, but of an oscillating frontier. This essay deals with Russian understanding of frontiers as a zone between civilization and wilderness. It reveals the Russian imagination of the frontier and her colonial practices beyond the October Revolution. For the eighteenth century we can make out a flexible approach to Russia’s Asian peripheries that rooted in the steppe diplomacy of Moskovitan Russia. The flexibility and instability of tribal societies resisted Russian attempts to draw borders. Moreover, they evade any homogenous understanding of history, instead they insisted on their right of self-determination. The Russian Empire, later the Soviet Union reacted in the nineteenth and twentieth with a rigid frontier rule that resulted in a militarization of the frontier. Cultural encounters did not rest on acceptance and coexistence with indigenous peoples, but on imperial subordination.
Der Aufsatz untersucht die sich überlagernden Territorialisierungsmuster in der Finnisch-Russischen Grenzregion. Dabei wird den Friktionen zwischen diesen verschiedenen Mustern im Rahmen von EU-Politiken vor dem Hintergrund sich wandelnder historischer Formen supranationaler, nationaler und regionaler Territorialisierung besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Das Fallbeispiel Karelien stand als historische Region für mehr als tausend Jahre im Zentrum von Auseinandersetzungen rivalisierender Projekte der Staats- und Nationenbildung im europäischen Norden. Der Aufsatz untersucht u. a., welche Rolle dieses historische Erbe in der Regionalpolitik der Europäischen Union spielt und in welcher Form es in heutigen supra-nationalen, nationalen und regionalen Vorstellungen von grenzüberschreitender Regionalisierung präsent ist. Karelien kann als Paradebeispiel für das Aufeinandertreffen verschiedener Formen der Regionalisierung, der Staatsbildung wie auch der Definition der Ost-West-Konfrontation gelten. Seine Territorialisierungsmuster haben immer auch die Machtverschiebungen innerhalb des europäischen Staatensystems reflektiert. Das historische Erbe der Region umfasst seit seiner doppelten imperialen Vergangenheit bis nach dem Kalten Krieg verschiedene Formen der Bestimmung dieser räumlichen Einheit: als regionale Gemeinschaft mit eigenen ethnischen, sprachlichen und religiösen Besonderheiten; als Grenzland, das von rivalisierenden Staaten und sich überlagernden nationalisierenden Ansprüchen geteilt wird; und schließlich als Berührungspunkt und Trennlinie zwischen Ost und West. Das Ende des Kalten Krieges und die Effekte der EU-Regionalpolitik brachten neue Formen der marktorientierten Regionalisierung hervor, wobei die EU die verschiedenen territorialen Ebenen hierarchisch organisierte und in hohem Maße die wechselseitigen historischen Verbindungen, Brüche und Konflikte ignorierte. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, der Einführung der EU-Regionalpolitik, einschließlich der neuen Nachbarschaftspolitik, und der Einrichtung der Euroregion Karelien im Jahr 2000 entstanden neue Formen des Austauschs in der Grenzregion. Grenzüberschreitende Kooperation, maßgeblich geprägt durch die Verlagerung des Schwerpunkts weg von einer nationalstaatlich dominierten Außenpolitik hin zu Mehrebenenstrukturen und -netzwerken die von unabhängigen Akteuren gebildet werden, hat die Rolle der mittleren Ebene gestärkt. Die Ziele der impulsgebenden Akteure dieser grenzüberschreitenden Praktiken waren dabei nicht auf die Herausbildung eines regionalen Grenzregimes begrenzt, sondern berührten auch zentrale Fragen europäischer und nationaler Identitätspolitik. Der Aufsatz plädiert für die Anerkennung der historischen und politischen Wechselbeziehungen, Brüche und Konflikte zwischen unterschiedlichen Verständnissen der territorialen Bezüge und unterstreicht die Notwendigkeit komparativer Studien zur politischen Sprache der grenzüberschreitenden Kooperation.
Der Beitrag untersucht den öffentlichen Diskurs über die Grenzen der USA, wie er im Rahmen der neuen geopolitischen Ordnung nach dem 11. Septmeber 2001 geführt wurde. Es wird argumentiert, dass die Bestimmung der US-amerikanischen Grenze nur mit Hilfe eines weitergefassten Blickes auf nordamerikanische Sicherheitsfragen und die Auseinandersetzung um die Rolle der USA in einer globalisierten Welt plausibel analysiert werden kann. Es kann gezeigt werden, dass die neuen Diskurse alte Grenzen und Sicherheitsargumente wieder verwenden und gleichzeitig die Art der Bedrohung und der daran geknüpften Legitimationsstrategien neu erfunden wird. Die US-amerikanischen frontiers wie auch die Grenzen ihrer Hegemonie werden im Zusammenhang mit sich verändernden Weltordnungen ständig neu konstruiert. Der Beitrag hebt dabei schwerpunktmäßig auf jene Periode seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion ab, als der frühere Präsident George Bush Sr. zu Beginn der neunziger Jahre den Beginn einer »Neuen Weltordnung« erklärte. Es wird untersucht, in welcher Form internationale Grenzen in diesem Diskurs in ein hierarchisches Verhältnis zueinander gesetzt werden und vergleicht diese intersubjektiven Grenz-Bilder mit der politischen Karte des 21. Jahrhunderts. Hervorgehoben wird, dass der relative Bedeutungsverlust oder -zuwachs jeder der betroffenen Grenzen – sowohl nach Süden als auch nach Norden – auf die zugrundeliegende Vorstellung von einer geopolitischen »Neuen Weltordnung« vereist, die zwar eine Besonderheit der US-amerikanischen Diskussion ist, gleichzeitig aber eine nachhaltige Wirkung auf die Grenzbildungsprozesse auf dem nordamerikanischen Kontinent insgesamt hat. Volkstümliche Imaginationen der Grenze und diskursiv behauptete Gefahren, die an den Rändern »Amerikas« lauerten, sind höchst wirksame Instrumente bei der Unterstützung von Hegemonie- und Eindämmungsstrategien. Gleichzeitig haben sich Grenzen im Verlauf des 19., 20. und 21. Jahrhunderts immer in Abhängigkeit zu ihrer wahrgenommenen strategischen Bedeutung verschoben und verändert. Der Beitrag geht davon aus, dass es einen weiteren nordamerikanischen und globalen Kontext der US-amerikanischen Grenzen nach dem 11. September 2001 gibt, den es zu verstehen gilt, um der Besonderheit heutiger Grenzregionen und dem Transnationalismus des 21. Jahrhunderts Rechnung zu tragen.
Aufbauend auf einer aktuellen epistemologischen Perspektive auf Grenzen schlägt dieser Beitrag eine Neuinterpretation gegenwärtiger Euro-Afrikanischer Grenzzonen vor: nämlich als Ausdruck von Dynamiken in der wechselseitigen historischen Konstruktion der europäischen Binnen- und Außengrenzen. Auf grundsätzlichere Überlegungen im Rahmen der postcolonial studies zurückgreifend setzen sich die Autoren insbesondere mit Walter Mignolos Begriff der »exteriority« des »modernen / kolonialen Weltsystems« auseinander und argumentieren, dass dieser nicht ausreichend die geographischen Aspekte von Regionen in Betracht ziehe, die ihre eigenen, abgegrenzten Identitäten gegen das dunkle Erbe der europäischen imperialen Herrschaft aushandeln. Um dies zu veranschaulichen, zeigen die Autoren am Beispiel einer kürzlich entwickelten Initiative zur grenzüberschreitenden Kooperation in Westafrika – die West African Borders and Integration (WABI) – welchem Wandel die Afrikanisch-Europäische Grenze gegenwärtig unterworfen ist. Abschließend unterbreiten sie einen Vorschlag für ein präzisiertes »Denken der Grenze«, das es ermöglicht, die postkoloniale Wiederholung zu entschlüsseln, die dem westafrikanischen Festhalten an einer eigentümlichen »Idee eines grenzüberschreitenden Europas« innewohnt. Damit bildet dieser Aufsatz einen Beitrag zur wissenschaftlichen Diskussion über die »koloniale Differenz« in der Gestaltung des Euro-Afrikanischen Grenzlands.
Forum
The article deals with the function and forms of municipal policy in the field of international relations and compares cities in France and in the German Democratic Republic. In examining the partnership between Leipzig and Lyon the article asks for motivations of such a relationship, for its position within the whole municipal policy and compares the scope both cities had in running such a partnership. In spite of central guidelines given by the governments, the cities pursued their own objectives when developing such relations to cities abroad. That is, to a certain degree, also valid for Eastern Germany where the leading Communist Party used such partnerships firmly as a means of its foreign policy and impeded own municipal initiatives. The partnership between Leipzig and Lyon resumed, however, contacts existing already before 1933 and continued to exist also after the end of the German Democratic Republic. After 199, it was even resuscitated being a useful instrument for Leipzig to intensify intermunicipal cooperation and transnational exchange on central issues of the city’s development during a period of fundamental transition.