Rural Development in the Twentieth Century: International Perspectives
Vol. 27 No. 2 (2017)
Edited by Marc Frey and Corinna R. Unger
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Der Beitrag handelt von einem großen Bewässerungsprojekt im Binnendelta des Niger, dem Oice du Niger. Geplant nach dem Ersten Weltkrieg und gegründet 92 ist es eines der ältesten Entwicklungsprojekte im ländlichen Raum, die es gibt. Vom kolonialen Paradigma der Produktion über die Vision einer sozialistischen ländlichen Wirtschaft bis hin zu den liberalen Ansätzen der Zeit nach 980 haben exogene Entwicklungsdoktrinen seine Geschichte maßgeblich geprägt. Der Aufsatz argumentiert, dass das Oice du Niger zwar grundlegendem institutionellem und sozialem Wandel unterlag. Über seine lange Geschichte hinweg sind jedoch auch Kontinuitäten sichtbar, wie etwa das Phänomen der strukturellen Gewalt, die Betonung von Produktivität und hierarchische Entscheidungsprozesse, die die Möglichkeiten der Siedler einschränken.
Der Aufsatz beschäftigt sich mit der Politik gegenüber ländlichen Räumen im Italien und Spanien der 950er und 960er Jahre. Er untersucht die sozio-ökonomischen Folgen dieser Politik am Beispiel Siziliens und Andalusiens. Der Vergleich der beiden ländlichen Räume verweist auf ein gemeinsames Entwicklungsmodell im südlichen Europa, in dem die Steigerung landwirtschaftlicher Produktion und die Verringerung der in der Landwirtschaft tätigen Arbeitskräfte im Mittelpunkt standen. Siedlungsprojekte spielten demgegenüber nur eine vergleichsweise geringe Rolle. Der Beitrag rekurriert auf Datenmaterial, das den Grad der Beschäftigungen in der Landwirtschaft zwischen 950 und 970 widerspiegelt. Er zeigt, dass zwar immer weniger Menschen insgesamt in der Landwirtschaft beschäftigt waren, die Zahl von Landarbeitern, die nicht über Grundbesitz verfügten, aber zunahm.
Der Beitrag untersucht ein von Schweden geleitetes Projekt im Bereich der integrierten ländlichen Entwicklung, das Chilalo Agricultural Development Unit (CADU) in der Provinz Arussi in Äthopien. Entworfen von einer Gruppe von Experten des Agricultural College of Sweden bildete CADU den ersten größeren schwedischen Versuch, agronomisches Wissen im Kontext von Entwicklungszusammenarbeit in den globalen Süden zu transferieren. Mit Hilfe eines Maßnahmenbündels sollte sozio-ökonomische Entwicklung ermöglicht und beschleunigt werden. Im Mittelpunkt standen landwirtschaftliche Experimente, um die Produktivität von Kleinbauern zu steigern. Entwicklungsstrategien und die entsprechenden Technologien waren stark von der wissenschaftlich-technischen Tradition des Agricultural College geprägt. Einerseits berücksichtigten sie in erheblichem Maße die Speziika der jeweiligen lokalen Landwirtschaft. Andererseits blendeten sie soziale Faktoren weitgehend aus. Die Berücksichtigung lokaler Gegebenheiten machte das Projekt zu einem der wenigen Projekte im Rahmen der Grünen Revolution in Afrika, die erfolgreich waren. Die Vernachlässigung sozialer Faktoren trug jedoch dazu bei, dass Bauern das Projekt nicht uneingeschränkt begrüßten, und dass insgesamt die soziale Ungleichheit im Projektgebiet wuchs. Als Folge des Fokus auf arme Bauern entwickelte sich CADU zu einem politisch stark umstrittenen Projekt. Im Kontext der zunehmenden Spannungen im spät-imperialen Äthiopien wurde es zu einem aktiven Akteur in den ländlichen Konlikten, die der Revolution von 974 vorausgingen.
Nach dem Ausbruch organisierter anti-kolonialer Gewalt während der frühen sechziger Jahre suchten portugiesische imperiale und koloniale Akteure nach politisch-militärischen Strategien, die Sicherheit, rudimentäre Sozialfürsorge und Entwicklung kombinierten. Diese speziische Kombination war ein Wesensmerkmal des Spätkolonialismus. Neben Strategien zur Bevölkerungskontrolle, „psychologischen Aktivitäten“ oder einer Sozialgesetzgebung entwickelte sich ländliche Entwicklungspolitik zu einem zentralen Instrument der spätkolonialen Sicherheitspolitik. Ausgehend von der Analyse zweier zentraler Dokumente, die ländliche Entwicklungspolitik propagierten, zeigt der Artikel, wie ländliche Regionen zu einem wesentlichen Austragungsort von militärisch-politischen Sicherheitsstrategien wurden, die viele Elemente ländlicher Entwicklungspolitik enthielten.
Der Beitrag untersucht die Geschichte ländlicher Entwicklungspolitik anhand der Landreformen in Afghanistan während des Kalten Krieges. Während des zwanzigsten Jahrhunderts lebte die überwiegende Mehrheit der afghanischen Bevölkerung von der Landwirtschaft. Grundbesitz war jedoch höchst ungleich verteilt. Der Kalte Krieg verwandelte Afghanistan in ein Schlachtfeld westlicher und sowjetischer Visionen ländlicher Entwicklungsprojekte etwa im Bereich der Bewässerung oder der Einrichtung von Staatsgütern. Afghanische sozialistische Intellektuelle forderten eine umfassende Landreform, um die Probleme der ländlichen Bevölkerung zu lindern. Nach einem sozialistischen coup d’état im Jahre 978 versuchten sie, ihren radikalen Plan einer Umverteilung von Land auch gegen die moderateren Vorschläge der sowjetischen Berater durchzusetzen. Die Geschichte ländlicher Entwicklungspolitik im Afghanistan des Kalten Krieges führt sozialistische Entwürfe in die globale Geschichte der Entwicklungspolitik ein. Sie zeigt, dass für viele Akteure die Umverteilung von Land ein zentraler Aspekt der Entwicklungspolitik war. Und sie verweist darauf, dass sich die Sowjetunion ungeachtet ihrer Erfahrungen mit kollektiver Landwirtschaft sehr reaktiv zu den Forderungen radikaler Akteure des globalen Südens verhielt, um Lösungen für ländliche Armut und soziale Gerechtigkeit zu inden.