Ordering the Colonial World around the 20th Century. Global and Comparative Perspectives
Vol. 19 No. 1 (2009)
Sebastian Conrad, Nadin Heé und Ulrike Schaper
Articles
Der Artikel untersucht Recht und Gerichtsbarkeit als Instrumente deutscher Kolonialherrschaft in Kamerun. Rechtspolitische Maßnahmen bewegten sich in einem Spannungsfeld zwischen Zivilisierungsbestrebungen und dem vor Ort für die Kolonialregierung weitaus wichtigeren Bedürfnis nach der Aufrechterhaltung von Ordnung. Die indigene Bevölkerung gestaltete die Umsetzung der rechtspolitischen Maßnahmen durch ihre Re- und Interaktionen mit und setzten Recht in beschränktem Maße als Mittel zur Selbstbehauptung ein. Recht bildete so ein Instrument, das von unterschiedlichen Gruppen für ihre Interessen genutzt werden konnte. Der Konflikt zwischen den kolonialpolitischen Zielen einer ‚Zivilisierung‘ und der Aufrechterhaltung der Ordnung wurde durch das Aufschieben zivilisatorischer Maßnahmen in eine unbestimmte Zukunft gelöst.
Exzeptionalismus und die proklamierte historische Sonderrolle waren die ideologischen Fundamente, auf denen die Bolschewiki nach 1917 ihre zivilisatorische Mission in den Randzonen des sowjetischen Herrschaftsbereichs aufbauten. ‚Westliche‘ koloniale Herrschaftsmodelle bildeten die Negativfolie für ihre revolutionären Neuansätze. Trotzdem kann die Frage nicht eindeutig beantwortet werden, ob es sich bei der Sowjetunion um einen Kolonialstaat gehandelt habe. Vielmehr gilt es, die innere Dynamik der Herrschaftsinstitutionen und ihrer Akteure genauer zu untersuchen, um Schlussfolgerungen über die Vergleichbarkeit des sowjetischen Sonderwegs zu ziehen und den ‚Kolonialismus‘ in diesem Prozess genauer zu verorten. Dazu werden nach einer Schilderung der aktuellen Forschungsdiskussion die Biographien dreier führender Bolschewiki untersucht, die die Geschicke des sowjetischen Zentralasien zwischen 924 und 94 prägten.
Der Erwerb kolonialer Besitzungen der USA im Pazifik und der Karibik wird oft als temporäre Abweichung von einer grundsätzlich anti-kolonialen nationalen Tradition gedeutet, und dabei betont, dass die Kolonialherrschaft der USA weder in Anlage noch Ausprägung mit den europäischen Imperien vergleichbar sei. Dieser Aufsatz zur US-Kolonialpolitik in den Philippinen hinterfragt diese Sichtweise und skizziert das Interesse amerikanischer ‚Kolonialexperten’ an administrativem und militärischem ‘know-how’, das aus europäischen Erfahrungen gewonnen wurde. Nach einem Jahrzehnt intensiver Transfers gewann jedoch die Deutung vom „Sonderweg“ amerikanischer Kolonialbestrebungen die diskursive Oberhand. Die Vorstellung von der vorgeblichen Einzigartigkeit und Benevolenz des amerikanischen Kolonialprojekts auf den Philippinen speiste sich einerseits aus dem Stolz über die dort durchgeführten sozialtechnischen Steuerungsmaßnahmen und andererseits aus dem an die Kolonisierten gerichteten Versprechen politischer Partizipation und letztendlicher Unabhängigkeit.
Der Beitrag geht davon aus, dass eine sowohl gegen innen (die japanische Gesellschaft) als auch gegen außen (die Kolonie Taiwan) gerichtete Zivilisierungsmission die Strafrechtsreformen in Meiji-Japan und die Bestrafungen in der Kolonie Taiwan prägte. Als Teil von Selbstzivilisierungsbestrebungen erneuerte Japan sein Strafrecht erst nach chinesischem und dann nach europäischem Vorbild, um den ‚Westen’ von der eigenen ‚Zivilisiertheit’ zu überzeugen. Nach der Annektierung Taiwans standen die japanischen Politiker vor dem Dilemma, ein nichtwestliches und benevolenteres asiatisches Imperium schaffen zu wollen, sich aber trotzdem auf europäische Modelle zu beziehen. Die Untersuchung der Prügelstrafe in Taiwan zeigt, wie sich im Diskurs um die ‚Zivilisierung’ der Taiwanesen die Konnotationen der chinesischen Rechtspraktiken von ‚zivilisiert’ zu ‚barbarisch’ verkehrten und welche Konsequenzen dies für die koloniale Herrschaftspraxis hatte.
Der Artikel untersucht das deutsche und britische Kolonialengagement in Afrika vor dem Ersten Weltkrieg. Er analysiert, in welchem Maße unterschiedliche nationale Kolonialkonzepte identifiziert werden können, wie sich die Kolonialmächte gegenseitig wahrnahmen und inwiefern gemeinsame Formen der Kolonisation oder der Kooperation in Afrika bestanden. Außerdem wird gezeigt, wie sehr die afrikanische Bevölkerung in Interaktion mit den Kolonisierenden koloniale Herrschaftsformen prägte und wie diese auch von den jeweiligen geographischen und klimatischen Bedingungen abhingen. Die Autorin arbeitet Charakteristika deutscher und britischer Kolonialherrschaft heraus und illlustriert dabei, dass die oberste Maxime der Kolonisierenden, eine „weiße Vorherrschaft“ über die schwarze afrikanische Bevölkerung zu erhalten, Kooperation und Wissensaustausch in Afrika trotz europäischer Rivalitäten förderte.
Reo Matsuzaki fragt in seinem Beitrag nach Umsetzungsmöglichkeiten der vergleichenden Kolonialismusforschung. Dabei basieren seine methodischen Überlegungen auf den Ergebnissen der Fallstudien des vorliegenden Bandes. Er schlägt vor, nicht die einzelnen Imperien oder Kolonien miteinander zu vergleichen, sondern stattdessen als Vergleichskategorie den Kolonialstaat heranzuziehen. Damit gelänge es, verschiedene Bedingungen und Geschichten der Kolonisierten in Relation zu einander zu setzen. Um vom Einzelnen und Spezifischen zu abstrahieren und die Mechanismen herauszuarbeiten, welche die Interaktionen zwischen den einzelnen Regimes prägen, unterscheidet er drei politische Arenen des Kolonialstaates („International“, „Home“, „Domestic” arena). Dies ermöglicht es, auch Akteure in den einzelnen Arenen spezifisch untersuchen.