Transfer and Translation
Vol. 25 No. 2 (2015)
Herausgegeben von Zaur Gasimov und Carl Antonius Lemke Duque
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Die Studie behandelt die Rezeption der kritischen Philosophie Immanuel Kants (1724–1804) im frühliberalen Spanien in der Zeit von der Verfassung von Cadiz 8112 bis zum so genannten Trienio liberal (1820–1823). Der Untersuchungsrahmen bezieht sich zunächst auf die diskursiven Einschläge, die in renommierten spanischen Zeitungen und Chroniken bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts in Bezug auf Kant nachweisbar sind. Dazu gehören u. a. Mercurio de España (1784–1830), Crónica científica literaria (1817–1820) und El Español (1835–1848). Der zweite Untersuchungsschwerpunkt bildet die Rezeption der kritischen Philosophie Kants durch den spanischen Juristen und Übersetzer Toribio Nuñez Sesse (1766–1834). Dessen Fassung des Kantischen Kritizismus wurde offensichtlich entscheidend durch die Übersetzung Kants durch den deutsch-französischen Kulturvermittler Charles de Villers (1765–1185) beeinflusst, der als Ordinarius für Philosophie seit 1811 in Göttingen lehrte. Die in der vorliegenden Studie durchgeführte Untersuchung legt nahe, die Rezeption Kants im frühliberalen Spanien als hybride Fusion von zwei trilateralen Transferprozessen zu verstehen.
Der Beitrag betrachtet die Arbeit mit der Sprache in Hermann Keyserlings psychogeographischer Studie Das Spektrum Europas und ihren Übersetzungen ins Französische, Spanische und Englische. Theoretisch als ein Werk des postimperialen Zeitalters gewertet, lässt sich anhand einiger Beispiele nachvollziehen, wie hierarchisch die in diesem Werk zur Schau gestellte Mehrsprachigkeit ist. Daraus ergibt sich eine intellektuelle Einstellung, die man komplementär zur postkolonialen Theorie als eine Art elitärer Subalternität bezeichnen könnte. Keyserling stilisiert sich zu einem deutschsprachigen, über den Nationen stehenden Aristokraten, der den anderen europäischen Stimmen zum Klang verhilft und diese gleichzeitig abwertet. Dank seinen Übersetzern erreichte Keyserlings Werk ein weltweites Publikum. Im zweiten Teil wendet sich der Aufsatz einer biographischen Untersuchung seiner Übersetzer zu, in deren Werk nicht nur die deutsche Kultur, sondern auch die jüdische Identität von Bedeutung ist. Als mögliches Motiv für ihr Interesse an dem Text lassen sich Keyserlings ambivalente Aussagen zum Judentum anführen. In der Übersetzung zeigt sich Keyserlings Umgang mit der deutschen Sprache anders, weil das Deutsche damit von der Meistersprache des Textes zu einer unter vielen ethnographisch zu untersuchenden vernakulären Sprache herabgestuft wird. Die Übersetzer werden damit noch mehr als gewöhnlich zu Mitautoren von Keyserlings Psychogeographie und unterminieren gleichzeitig die oben als elitäre Subalternität bezeichnete Pose des Autors.
Die Schrift Lenins Detskaja bolezn‘ levizny v kommunizme wurde 1920 auf Russisch veröffentlicht und liegt seit der Istanbuler Erstveröffentlichung in den 1960er Jahren bis heute in vier Übersetzungen auf Türkisch vor. Keine einzige Übersetzung allerdings erfolgte unmittelbar aus dem russischen Original. Die französischen und englischen Versionen wurden von den türkischen Linksintellektuellen herangezogen, die sich der Popularisierung der Schrift widmeten. Neben der Verzerrung aufgrund der Übersetzung aus einer ‚dritten‘ Sprache wurde die Rezeption des Leninschen Werkes stark durch eine seit den 1920er Jahren bis in die Gegenwart andauernde linguistische Purifizierung des Türkischen geprägt. Die Rezeption Lenins in der Türkei erfolgte mittels der Übertragung der französischen und englischen Übersetzungen aus der russischen Sprache. Somit war nicht zuletzt die (sprachliche) Europäizität der Texte und Diskurse ein wichtiges Merkmal der türkisch-russischen Verflechtung.