Transnationalizing the History of Education
Vol. 22 No. 1 (2012)
Herausgegeben von Eckhardt Fuchs
Articles
Dieser Artikel untersucht Prozesse von Erkenntnistransfer unter staatlicher Vermittlung. Er überträgt erstmals den überzeugenden theoretischen Ansatz von Schriewer, Martínez (2004) und anderen auf einen speziellen Kontext kolonialer Bildung in Britisch-Indien. Der Artikel nimmt einen Einzelaspekt des Kolonialdiskurses in den Blick, nämlich Schul(buch)texte, um an ihnen exemplarisch einen allgemeineren Zusammenhang zu verdeutlichen. Indem er seinen Gegenstand während Schlüsseletappen der britischen Herrschaft analysiert, lotet der Beitrag aus, wie der Staat Erkenntnistransfer nach seinen eigenen Regeln steuert. Er berücksichtigt die Rolle kommunaler, klassenbedingter und regionaler Befindlichkeiten, sieht aber im Herrschaftsgeschäft des Empire auch, wie der wechselnde Charakter kolonialer Macht ein stärkeres Metanarrativ organisierte. Dieses Narrativ unterstrich „Bildungsdefizite“, die „Maßnahmen“ erforderten, und war vor allem für das „Mutterland“ Großbritannien sichtbar. Auf diese Weise entstanden falsche imperiale Dualitäten und der einst fruchtbare intellektuelle Austausch zwischen Ost und West verstummte.
Heute ist Englisch, basierend auf der Anzahl der Sprecher und vor allem aufgrund seiner Verbreitung in allen modernen Medien, als Weltsprache anerkannt und als globales Kommunikationsmittel aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Die Untersuchung konzentriert sich auf die Anfänge des Englischen als imperiale Sprache und analysiert am Beispiel von Süd- und Südostasien seine Verbreitung im 19. Jahrhundert. Dabei zeigt sich, dass mit Bildungspolitik in den Kolonien immer auch der Versuch verbunden war, sprachpolitische Entwicklungen und damit einhergehende Aufstiegschancen der Kolonisierten zu steuern. Da sie jedoch nur ein Element in einem komplexen und keinesfalls immer kohärenten Gefüge von imperialer Politik in London, Entscheidungen „on the spot“ und „local agency“ war, konnte sie nur bedingt Wirkung zeigen. Dennoch lässt sich in den Quellen zur Bildungs- und Sprachpolitik besonders gut nachlesen, welche Rolle einerseits die Zivilisierungsmission und andererseits eher wirtschaftlich orientierte Herangehensweisen im politischen Denken und im kolonialen Handeln spielten.
Die gegenwärtige Forschung zu Bildungstransfer beschäftigt sich zunehmend mit der Rolle von lokalen Akteuren in Transferprozessen und der damit verbundenen Wandelbarkeit von Bildungsmodellen und -konzepten. Der vorliegende Beitrag beleuchtet Akteure und Objekte von Bildungstransfer im China des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts, als China in wachsendem Maße als Teil einer Weltgesellschaft gedacht wurde. Nach einem Überblick über die unterschiedlichen chinesischen Rezeptionsphasen jener Zeit wendet sich der Beitrag der Frage zu, mit welchen semantischen Ressourcen chinesische Bildungsakteure agieren konnten und welche Rolle dabei vermittelnde Instanzen wie Übersetzungen oder „dritte“ Länder wie Japan spielten. Abschließend werden diese Phänomene unter Rückgriff auf theoretische Zugänge zu Rezeption und Aneignung konzeptualisiert.
Wissenstransfer spielte eine zentrale Rolle im Prozess der Herausbildung akademischer Disziplinen bzw. der Reform der traditionellen Wissenskulturen in einer Vielzahl nichtwestlicher Länder im 20. Jahrhundert. Ein Beispiel für solch einen Modernisierungsprozess bildet der Einfluss der deutschen Bildung und Pädagogik auf Taiwan. Der Aufsatz beginnt mit einer Analyse der neun einzigen chinesischen Pädagogikstudenten, die ihre akademischen Grade in Deutschland zwischen 1920 und 1949 erwarben, danach nach China zurückkehrten und nach 1949 in Taiwan als „Wissensmediatoren“ fungierten. Es wird gezeigt, wie diese Pädagogen versuchten, nach dem Vorbild der geisteswissenschaftlichen Tradition der deutschen Erziehungswissenschaft die taiwanesische Pädagogik und das Bildungssystem, das bis dahin vom amerikanischen Wissenschaftsparadigma dominiert war, zu reformieren. Dies war mit dem Anspruch verbunden, anhand der kulturellen und philosophischen Annahmen der „Kulturpädagogik“ westliche und chinesische Kultur in Taiwan miteinander harmonisch zu verbinden und angesichts der politischen Ereignisse in China 949 neue Lösungen für den Bildungsbereich zu suchen. Der Analyse liegen die theoretischen Annahmen des Wissenstransfers von Steiner-Khamsi und Schriewer zugrunde.