Entangled Histories: Reflecting on Concepts of Coloniality and Postcoloniality
Vol. 21 No. 1 (2011)
Herausgegeben von Angelika Epple, Olaf Kaltmeier und Ulrike Lindner
Articles
Die Konzepte der Kolonialität / Postkolonialität sind seit den 1980er Jahren in verschiedenen Disziplinen intensiv diskutiert worden. Postkoloniale Theorie hat sich in den Geistes- und Sozialwissenschaften zu einer höchst einflussreichen Denkrichtung entwickelt. Wenig erforscht blieb jedoch ein wichtiger Aspekt dieser Debatten: die signifikanten Unterschiede, aber auch die Überlappungen zwischen den spezifischen Diskursen über Kolonialität / Postkolonialität in Lateinamerika, Indien und Afrika, die hier in den Blick genommen werden. Die unterschiedlichen Historiographien der Kolonialität sind eng verknüpft mit den auch zeitlich divergierenden Erfahrungen von Kolonialismus in den einzelnen Weltregionen. Seit den 980er Jahren hatte in allen Diskursen die Entwicklung postkolonialer Theorien einen bedeutsamen Einfluss, der eine neue kritische und umfassende Beschäftigung mit Kolonialismus und seinen Auswirkungen anstieß. Die lateinamerikanischen, indischen und afrikanischen Debatten über Kolonialität und Postkolonialiät, ihre Unterschiede und ihre gegenseitige Durchdringung lassen sich adäquat nur in Form einer verflochtenen Geschichte der Historiographien darstellen.
Das Konzept der kolonialen Gouvernementalität, das in Anlehnung an Foucaults Theorien entwickelt wurde, ist in den letzten zwei Dekaden gerade in der südostasiatischen Geschichte oftmals als Ansatz benutzt wurden, um koloniale Gesellschaften zu interpretieren. Der Aufsatz untersucht diesen Ansatz kritisch und entwickelt eine nuanciertere historische Herangehensweise an koloniale Situationen. An Beispielen aus der Geschichtsschreibung Indiens und Sri Lankas wird erläutert, inwiefern das Projekt der „colonial governmentality / modernity“ eine Überinterpretation der kolonialen Dominanz in der Forschung erzeugte und wie dadurch die Rolle der Kolonisierten und deren Spielräume im kolonialen Machtsystem marginalisiert wurden. Außerdem wird grundsätzlich auf die Vielfalt der kolonialen Situation verwiesen, die nur durch eine verstärkte Erforschung der Lebenswelt der Kolonisierten wahrgenommen werden könne.
Michel Foucault widmete in seiner Analyse von Machtbeziehungen der kolonialen Situation keinerlei Aufmerksamkeit. Nichtsdestoweniger eröffnete sich für eine neue Generation von Afrikahistorikern in den 1980ern mit Foucaults Konzepten von Gouvernementalität und Disziplinarmacht neue Perspektiven auf koloniale Machtverhältnisse. Sie ermöglichten vor allem, den bis dahin vorherrschenden Fokus auf den kolonialen Staat als zentralen Akteur kolonialer Herrschaft zu hinterfragen. Darüber hinaus rückten kulturelle Aspekte kolonialer Herrschaft stärker in den Vordergrund. Doch Foucaults Konzepten waren an europäischer Geschichte geschult. Die Herausbildung der politischen Rationalität, die Foucault mit Gouvernementalität beschrieben sowie der Karriere von Disziplinartechniken im Reservoir der Mächtigen fußten auf historischen Prozessen, die wenig mit kolonialer Herrschaft gemein hatten. Der Artikel fragt nach den Konsequenzen dieser Differenzen für das Konzept einer kolonialen Gouvernementalität. Dabei geht es vor allem um die räumlichen und zeitlichen Dimensionen kolonialer Herrschaft.
Der Kariba-Staudamm an der Grenze zwischen dem heutigen Sambia und Simbabwe war ein Beispiel spätkolonialer Modernisierungspolitik und zugleich Symbol eines vielbeachteten Staatsbildungsexperiments: Die 1953 ins Leben gerufene Zentralafrikanische Föderation wurde von ihren politischen Vätern als „dritter Weg“ zwischen weißen und schwarzen Unabhängigkeitsbewegungen deklariert. Aus heutiger Sicht versinnbildlicht das Mammutprojekt sowohl das Scheitern der hochumstrittenen Föderation als auch die Verfehlungen großer Entwicklungsvorhaben insgesamt: Kariba nutzte der „weißen“ Industrie, brachte der verarmten indigenen Landbevölkerung jedoch Schaden. Lokale Akteure versuchten, diese Ungleichheiten zu korrigieren, wie der vorliegende Aufsatz anhand von Hezekiah Habanyama, einem Mitglied der lokalen afrikanischen Verwaltungselite, und Harry Nkumbula, dem Präsidenten des nordrhodesischen African National Congress aufzeigt. Die Positionen, die der „loyale Verwaltungsbeamte“ einerseits und der „Widerstandskämpfer“ andererseits einnahmen, entziehen sich allerdings einer einfachen Zuordnung in Für- oder Gegenstimmen, Opposition oder Kollaboration. Ihre vielfach verflochtenen Strategien und Ideen im Hinblick auf „Entwicklung“ verdeutlichen vielmehr die grundsätzliche Ambivalenz des spätkolonialen Doppelprojekts von Staatsbildung und Modernisierung.
Die unabhängig gewordenen afrikanischen Nationalstaaten traten ein schwieriges Erbe an. Die postkolonialen Staatswesen standen vor der Aufgabe an eine kolonial geprägte Verwaltung anzuknüpfen. Die Frage nach Kontinuitäten und Diskontinuitäten in diesem Übergang rückt das Problem der Ausbildung der neuen afrikanischen Verwaltungsbeamten in das Zentrum des Interesses. Der vorliegende Beitrag analysiert vor diesem Hintergrund den Wandel der Pariser Ecole nationale de la France d’outre-mer, die eine Monopolstellung in der Ausbildung der französischen Kolonialadministratoren innehatte, zum Institut des hautes études d’outre-mer, das überwiegend afrikanische Verwaltungsbeamte ausbildete. Die Untersuchung zeigt, dass trotz der von konservativer Seite so empfundenen und bekämpften „Umwälzung“ der Schule, das konzeptionelle Ziel derselben das gleiche blieb: die Ausbildung einer (post-)kolonialen Verwaltungselite. Die Analyse des Kurrikulums macht indes einen Wandel der zu vermittelten Wissenskorpora deutlich: Diese entwickelten sich zu einem Hybrid aus „bewährtem“ kolonialen / metropolitanen Verwaltungswissen und neuen „Techniken“, die unter einem Paradigma sozialer und wirtschaftlicher Entwicklung standen. Die Möglichkeit einer spezialisierten Qualifikation für den höheren Verwaltungsdienst in Paris wurde von den meisten frankophonen afrikanischen Staaten positiv aufgenommen. Wie die Untersuchung zeigt, erlangte die ehemalige Kolonialschule eine bemerkenswerte Funktion als Sprungbrett in hohe Staatsämter zahlreicher afrikanischer Nationalstaaten.
Die Fragen, ob und wie die unter der Bezeichnung „postcolonial studies“ zusammengefassten Analyseansätze auf lateinamerikanische Verhältnisse anwendbar sind, werden seit rund zwei Jahrzehnten kontrovers diskutiert. Ein Phänomen, das im Zusammenhang der Debatte über die Postkolonialität in Lateinamerika wiederholt angesprochen und erörtert worden ist, war der 1994 im mexikanischen Gliedstaat Chiapas ausgebrochene Aufstand des Ejército Zapatista de Liberación Nacional (EZLN). Der Artikel fragt im Fall dieses Ereignisses aus geschichtswissenschaftlicher Warte nach Möglichkeiten und Grenzen der Einsicht von Analyseperspektiven des Postkolonialismus bzw. des mit Blick auf die historischen Besonderheiten der lateinamerikanischen Entwicklung im Anschluss daran formulierten Konzepts der Kolonialität. Exemplarisch im Mittelpunkt der Betrachtung steht die Analyse des zapatismo von Walter D. Mignolo.
Forum
The theory of violence that Georges Bataille elaborated during the 1930s, under the impact of ethnology at that time, does not receive attention in the current sociology of violence. Nevertheless, Bataille stressed two ideas that are worth considering by historians or social scientists who actually examine physical violence. On the one hand, Bataille did not discuss violence as an instrumental means; but rather portrayed it as an act in which people go beyond themselves in order to find their self beyond their own limits. Thus violence is regarded as a transgressive attitude. On the other hand, referring to the emotions that the view of violence provoke in our minds, Bataille discussed in which ways the narrators of violence inscribe themselves into the narration of violence. This text comments on these ideas, while asking about their usefulness for today’s sociology of violence and its relationship to anthropology.