Between Leisure, Work and Study: Tourism and Mobility in Europe from 1945-1989
Vol. 24 No. 2 (2014)
Herausgegeben von Nikolaos Papadogiannis und Detlef Siegfried
Articles
Die Einführung des von der UdSSR ausgehenden Auslandstourismus im Zuge der Chruščevschen Tauwetterpolitik bescherte den sowjetischen Autoritäten eine Reihe schwieriger Fragen: Wie ließen sich Bürger finden, die die Sowjetunion im Ausland würdig vertreten würden, wie konnten die Touristen während der Reise unter Kontrolle gehalten werden, und wie konnten Auslandsreisen propagandistisch genutzt werden? Vor dem Hintergrund dieser Fragen betrieben die staatlichen sowjetischen Tourismusorganisationen einen beträchtlichen Aufwand, um Auslandsreisen zu einem kontrollierbaren Element der Kulturdiplomatie zu formen. Der vorliegende Artikel befasst sich in diesem Kontext mit Momenten, in denen die Kontrollmechanismen zeitweilig nicht mehr griffen, etwa wenn Touristen aus den erwarteten Verhaltensmustern ausbrachen oder Mängel in der Reiseorganisation den reibungslosen Ablauf der Auslandsfahrten störten. Derartige Vorfälle waren mehr als nur Unregelmäßigkeiten in einer ansonsten geölten Inszenierungsmaschinerie – sie verwiesen auf strukturelle Probleme des Auslandstourismus, eines wichtigen Elementes der Außendarstellung in Zeiten des Kalten Krieges.
Ziel des Beitrags ist es, Perspektiven einer stärkeren inhaltlichen und konzeptionellen Verzahnung der Forschungen zum alternativen Tourismus und zum Ferntourismus am Beispiel der Bundesrepublik Deutschland aufzuzeigen. Alternativ- und Ferntourismus weisen sowohl Sonderheiten als auch Schnittmengen auf: Im Bestreben, sich von einer zunehmend raumgreifenden Massenreisekultur abzugrenzen, rückten namentlich in den 1970er und 1980er Jahren ferne außereuropäische Ziele ins Visier von unkonventionellen Touristen. Als Entdecker, Forscher oder Pioniere bereisten sie auf individuellen Pfaden die Fremde, erweiterten dabei kontinuierlich den touristischen Radius und wurden schließlich selbst zu „touristischen“ Touristen. Der alternative Reiseanspruch dieser frühen Fernreisenden sowie die vermeintliche Standardisierung des alternativen Ferntourismus werden im vorliegenden Beitrag exemplarisch anhand von alternativen Fernreiseführern, die ursprünglich im Selbstverlag publiziert wurden, untersucht. Am Beispiel dieses bislang noch unerforschten Quellenkorpus können sowohl Wahrnehmungs- als auch Differenzierungsprozesse des alternativen Ferntourismus sowie das Verhältnis und die Wechselwirkungen von Alternativ- und Massentourismus analysiert werden.
Tourismusforschung beinhaltet oft Auslandsstudien, aber ihre Ähnlichkeiten und Unterschiede im Vergleich zu kommerziellem Tourismus und ihre Interdependenzen mit den Themenfeldern Gender und Sexualität verdienen eine genauere Untersuchung und Analyse. Dieser Aufsatz beschäftigt sich zu Beginn mit zwei wichtigen Themen in der Forschung zur Geschichte des Tourismus, die hinsichtlich Auslandsstudien maßgeblich sind: erstens mit der Unterscheidung zwischen elitärem (oder „sachkundigem“) Reisen und Massentourismus, und zweitens mit der Annahme, dass Tourismus eine Flucht aus dem Alltag darstellt. Ausgehend von Briefen, Archivmaterialien und mündlichen Interviews hauptsächlich von amerikanischen Frauen, die in Frankreich studierten, bestätigt diese Forschungsarbeit die Arbeiten von Harvey Levenstein und John Urry, die Selbstfindung als den Hauptantriebsgrund für und die Hauptfolge von Jugendreisen einschließlich Auslandsstudien betonen. Sie stellt zudem fest, dass andere Faktoren des nationalen Vergleichs, Gender und das Verständnis des „Andersartigen“ diese Selbstfindung inhaltlich bestimmen und zusätzliche Wirkungen von Auslandsstudien darstellen.
Dieser Artikel untersucht die Reisemuster von jungen Arbeitern und Studenten mit griechischem Migrationshintergrund, die während der 1960er und 70er Jahre in Westdeutschland gelebt haben. Basierend auf neueren Forschungsergebnissen, welche rigide Trennungslinien zwischen Migration und Tourismus in Frage stellen, wird hier die These vertreten, dass die Migrationserfahrungen von Griechen in Deutschland in Hinblick auf die beiden Phänomene weitaus komplexer waren als bisher angenommen. Während eine wachsende Anzahl deutscher Altersgenossen den Vergnügungstourismus für sich entdeckten, war das Reisen für junge Griechen zu diesem Zeitpunkt eher Mittel zum Zweck. Letztere benutzten Urlaube, um ihre Geburtsheimat zu besuchen und den Kontakt zur Familie aufrecht zu erhalten (oder zumindest wurde dies von ihnen erwartet). Jedoch fand in den frühen 1970er Jahren aufgrund des Influxes von griechischen Studenten an westdeutschen Universitäten eine Diversifizierung statt. Diese Gruppe wie auch einige junge Gastarbeiter fingen an, andere Länder zu erkunden und sich mit der Reisekultur von gleichaltrigen Westdeutschen – besonders dem Hitch-Hiking – vertraut zu machen. Der Artikel beleuchtet dabei kritisch die gängige These, dass der Jugendtourismus in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts dazu beitrug, eine transnationale europäische Identität zu schaffen. Tatsächlich nämlich entwickelten junge Migranten in den 1960er und 70er Jahren ihre Reiselust im Schatten eines kulturellen Nord-Süd Grabens.
Das Verhältnis von Migration und Tourismus ist hochambivalent. In Zeiten, in denen Migration von staatlicher Seite überwiegend restriktiv diskutiert und kontrolliert wird, erscheinen sie als gegensätzliche Repräsentationen von Mobilität: Weitgehend unreguliert für die, die reisen, um Geld auszugeben; stark begrenzt für jene, die sich auf den Weg machen, um Geld zu verdienen. Bei hohem Arbeitskräftebedarf verschieben sich dagegen die vermeintlich eindeutigen Zuschreibungen. Der Beitrag untersucht dieses Verhältnis in historischer Perspektive am Beispiel Frankreichs, der Schweiz und der Bundesrepublik Deutschland während der sechziger Jahre. Dabei wird deutlich, dass das Migrationsregime der ‚Gastarbeit’ eine weitaus größere Vielfalt an Mobilität kannte, als die einfache Dichotomie suggeriert. Migration und Tourismus sind in dieser Perspektive weit mehr als nur zwei rechtlich konstruierte Seiten der einen Medaille grenzüberschreitender Mobilität.
Tourismus ist nicht (nur) eine gefällige und marktkonforme Darstellung von Land und Leuten, sondern erlaubt auch Einblicke in die Prozesse der nationalen und kulturellen Identitätskonstruktion. Basierend auf einem diskursiven Verständnis touristischer Narrative und Praktiken analysiere ich in diesem Artikel, wie zwei populäre österreichische Nachkriegsfilme, Der Hofrat Geiger (1952) und Echo der Berge / Der Förster vom Silberwald (1954), den touristischen Habitus als Voraussetzung für die Wiederrichtung einer österreichischen Heimat darstellen. Die physische und mentale Mobilität der „Touristen“ denen es gelingt, im Fremden jeweils auch das Eigene zu erkennen, wird dabei zum Modell für ein Nachkriegsösterreich, das sich seine Idee von Heimat als ein von Deutschland unabhängiges Konzept neu zusammenbauen muss. Anhand einer detaillierten Diskussion der Filme zeige ich, dass Tourismus nicht einfach ein Oberflächenphänomen ist, sondern nuancierte Einblicke in kulturelle und nationale Identitätskonstruktionen ermöglicht, die auch zu vergleichenden Studien mit anderen ‚belasteten’ Nationalidentitäten führen können.
Tourismus und Migration gelten gemeinhin als ganz unterschiedliche, gar einander entgegengesetzte Formen von Mobilität. Die mobility studies jedoch nehmen beide Phänomene gemeinsam in den Blick und können so die oft fließenden Grenzen und vielfältigen Überschneidungen zwischen Migration und Tourismus sichtbar machen. Der Kommentar diskutiert verschiedene Tourismusformen, ihren Zusammenhang mit Migrationsprozessen und thematisiert die Verhandlung nationaler (und anderer) Identitäten on the move. Mit C. Michael Hall and Allan M. Williams plädiert der Text für das Konzept eines Mobilitätskontinuums, das die rechtlich-politische Kategorisierung und Gegenüberstellung verschiedener Mobilitätsformen zu problematisieren erlaubt. Darüber hinaus wird nach dem touristischen Moment in ganz unterschiedlichen Reiseformaten gefragt und eine stärkere Berücksichtigung der performativ-körperlichen Dimension von Mobilität gefordert.